Montag, 16. November 2009

"Bim Coiffeur"

Nein, der Chef sei heute nicht da, hiess es als ich mich unlängst wieder mal kurzfristig bei meinem Haarschneider anmelden wollte. Im Normalfall hätte dies bedeutet, dass ich mein Vorhaben einfach um ein bis mehrere Tage hinauszögerte, denn gerade der Coiffeur zählt für mich zu den persönlichen Dienstleistern, den man nicht so mir nichts, dir nichts wechselt; meine Kundentreue belief sich bis Dato auch immerhin auf etwa acht Jahre. Oft hatte ich mich mit meinem Coiffeur sogar über das Management der Kundenbeziehungen (CRM) unterhalten und welche extraordinären Massnahmen man zwecks Kundenbindung bei einer an und für sich austauschbaren Dienstleistung treffen kann. So legte er beispielsweise besonderen Wert auf die Begrüssung und dass einem Jacke oder Mantel abgenommen wurde und man einen Kaffee oder Mineralwasser angeboten bekam. Diesen Service wusste auch ich zu schätzen, empfand ihn stets als angenehm. Wenn also nicht unvermittelt ein geschäftlicher Termin angestanden hätte, so wäre ich nicht auf die Idee gekommen, mich nach einem alternativen Figaro umzusehen.
Dank Google war der geografisch für mich am günstigsten gelegene Salon im Appenzellerland rasch bestimmt. Mittlerweile war es kurz vor zwölf Uhr mittags und dennoch nahm eine Dame meinen Anruf freundlich entgegen und bot mir wunschgemäss einen Termin gleichentags kurz vor Feierabend an.

Zwar nahm mir beim Eintreffen niemand meine Jacke ab, aber man wusste oder besser gesagt vermutete dennoch wer ich war und bei welcher Dame ich angemeldet war. Kaum hatte ich Platz genommen, erkundigte sich die zuständige Coiffeuse nach einer kurzen Vorstellung mit Vor- und Nachnamen nach meinen Bedürfnissen. Sie tat dies aber nicht in der branchenüblichen und von mir erwarteten Form wie etwa „Wie darf ich Ihnen die Haare schneiden?“ – nein, ihre Eröffnungsfrage lautete: „Was ist Ihnen wichtig?“ Diese offene Fragestellung überraschte mich auf positive Art und Weise. Es folgten noch ein paar weitere fach- und dienstleistungsbezogene Fragen wie etwa die genaue Länge der neuen Frisur in den einzelnen Partien oder ob ich eine Kopfmassage wünschte. Kurz darauf kniete anstelle der Coiffeuse eine andere junge Dame an meiner Seite soweit herunter, dass sie mit mir auf Augenhöhe war, stellte sich als Lernende mit dem Vornamen vor und tat ihre Aufgabe kund, mir die Haare zu waschen. Nach meiner Zustimmung konfrontierte sie mich mit einer zwar offensichtlich gut auswendig gelernten, aber nicht minder verblüffenden Fragestellung: „Damit ich Sie optimal betreuen kann, würde ich Ihnen zu Beginn gerne noch ein paar Fragen stellen - ist das erlaubt?“ Wer könnte eine solche Frage verneinen? Wer möchte schon nicht optimal betreut werden? Nach ein paar Fragen zu Haar und Kopfhaut war die Auswahl des Shampoos begründet und es folgten die mehr oder weniger austauschbaren Dienstleistungen „Waschen, Schneiden, Föhnen“. Am Schluss wurde mir sogar der Gutschein für Neukunden, welchen ich im Internet aufgestöbert hatte, angerechnet. Ich verliess den Salon mit dem eindeutigen Gefühl, dass hier CRM wohl sehr bewusst gelebt wird.

Kaum Zuhause angekommen, sah ich mir den Internetauftritt des Frisiersalons nochmals genauer an und war denn auch nicht verwundert, dass der von mir mehr oder weniger zufällig bemerkte Salon im Jahr 2008 den „Global Salon Business Award“, eine der höchsten internationalen Auszeichnungen in der Coiffeurbranche in der Kategorie „Beste Unternehmensführung“ verliehen bekam. Dass Coiffeur mehr als Haareschneiden sein kann, war für mich untrüglich bewiesen oder an das Lied von Mani Matter angelehnt: „metaphysischs Grusle im Coiffeurgstüel“ kann durch die entscheidenden Fragen zur ausserordentlich positiven Erfahrung werden.

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